Ich hatte eben mein Studium beendet, Anette war im Junge Hirten im Hohen AtlasPrüfungsstress. So fuhr ich im Herbst 1983 mit einem Kumpel in unserem Renault 4 knapp 3000 Kilometer quer durch Frankreich und Spanien bis zur Meerenge von Gibraltar, wo wir nach Marokko übersetzten. Als wir auf der anderen Seite in Ceuta von der Fähre rollten, erwartete uns eine neue Welt, die so ganz anders war als Europa.
Verfolgungsjagd im Rif-Gebirge
Der wilde Berber-Stamm der Rifkabylen ist uns seit Lawrence von Arabien ein Begriff. Seine Heimat ist das Rif-Gebirge, das unser erstes Ziel im Norden Marokkos sein sollte. Es war und ist immer noch das größte Anbaugebiet von Cannabis in Nordafrika, und die Reiseführer waren voll von Warnungen und Tipps, z.B. "Am Straßenrand stehen Jugendliche, die den Touristen Haschisch verkaufen wollen. Halten Sie keinesfalls an, selbst wenn sich Kinder vor Ihrem Auto auf die Straße werfen. Sie springen schon rechtzeitig wieder weg".
Als wir ein Dorf passierten, wartete an der Ausfallstraße schon ein Pickup mit einer Meute von Verkäufern auf der Ladefläche, die bei unserem Anblick in Jubel ausbrachen. Sie hefteten sich an unser Auto und es begann eine wilde Verfolgungsjagd durch die bergige Landschaft. Als die enge Straße etwas breiter wurde, überholten sie uns und fuhren ein Stück voraus. Nach der nächsten Kurve sahen wir dann den Pickup, wie er quer vor einer schmalen Brücke uns den Weg versperrte. Die Leute sprangen herunter und liefen uns entgegen, Cannabis-Beutel in den Händen schwenkend.
Kurz entschlossen wendeten wir und fuhren zurück, und bis die Menge wieder auf der Ladefläche war, hatten wir einen kleinen Vorsprung herausgefahren. Als sich ein enger Seitenweg auftat, fuhren wir von der Straße und warteten in der Deckung eines Felsens, bis der Pickup vorbeigebraust war. Dann wieder raus auf die Straße und nichts wie weg. An diesem Abend achteten wir darauf, daß unser Übernachtungsplatz einen guten Sichtschutz zur Straße bot.
War das eine gefährliche Situation? Im Nachhinein denken wir, daß die Leute vom Dorf sich lediglich einen Spaß mit der Touristenjagd gemacht haben. Die Bevölkerung dort ist sehr arm und der Anbau von Cannabis ist ein Mittel, um zu überleben. Jedenfalls durften wir uns einmal als James Bond fühlen und hatten danach das erhebende Gefühl, daß wir die Verfolger hereingelegt haben.
Das "Restaurant am Ende des Universums"
Wir wollten nach Süden bis nach Merzouga am Erg Chebbi, den Ausläufern der Sahara, fahren. Irgendwann hörte die Teerstraße auf und es gab viele Pisten, aber keine Schilder. Wir hielten uns an die Pfähle der Stromleitung, aber waren schon bald nicht mehr sicher, ob wir uns auf dem richtigen Weg befanden, und es wurde bereits langsam dunkel.
Als ich mal in den Rückspiegel blickte, war die weite Landschaft hinter uns verschwunden und nur noch eine gelbe Wand zu sehen: Ein Sandsturm zog heran! Kurz darauf prasselten die Sandkörner auf's Auto und nach vorn war auch nicht mehr viel zu erkennen. Wir schalteten den Motor aus, weil wir befürchteten, dass er heiß laufen könnte, und bereiteten uns schon seelisch darauf vor, daß morgen nur noch ein großer Sandhaufen von unserer Existenz zeugen würde.
Nach einigen Minuten blinkte im Sturm vor uns ein Licht auf - offensichtlich ein anderes Auto - und ich blinkte mit den Scheinwerfern zurück, damit es uns nicht übersah. Nach weiterem Blinken erblickten wir aber einen Jungen mit einer Taschenlampe, der auf uns zugelaufen kam. Nun wird's eng im Auto, dachte ich. Als ich das Fenster öffnete, fragte er aber nur, warum wir denn nicht noch ein paar hundert Meter weitergefahren wären, da gäbe es doch ein Restaurant und Hotel?
Das "Restaurant" entpuppte sich als eine einsame, geräumige Lehmhütte, wo kurz darauf auch noch ein paar Franzosen eintrafen. Es gab was Gutes zum Essen, und es wurde noch ein lustiger Abend. Als der Sturm vorbei war, übernachteten wir auf dem flachen Dach des "Hotels" unter dem endlosen Sternenhimmel. Und als am nächsten Morgen die Sonne aufging, blickten wir genau auf die Dünen des Erg Chebbi, die vor uns lagen.
Das Restaurant am Erg Chebbi
Abends im Restaurant